Ein Gastbetrag von Dr. Rainer Feldbrügge
Was ist der Unterschied zwischen einer Workflow-Engine und einem ERP-System? Kann das ERP-System einen Prozess unterstützen? ERP-Berater möchten ja gerne als die eigentlichen Experten für Prozessmanagement gelten. Lassen Sie uns einmal genauer daraufschauen.
Ein ERP-System steuert die Ressourcen des Unternehmens: Geld, Material, Personen, Maschinen und so weiter. Das Kürzel steht für „Enterprise Resource Planning“. So ein System gibt jederzeit Auskunft darüber, wie viel von welcher Ressource an welcher Stelle im Unternehmen vorhanden ist, wozu sie verwendet werden kann und wie sie in Geld zu bewerten ist.
Das sollte das System zumindest tun, in der Praxis sehen wir ziemlich oft haarsträubende Abweichungen zur Realität. Diese Abweichungen sind selten die Folge von Fehlfunktionen der Systeme. Vielmehr sind sie Folge schlecht ausgeführter (oder schlecht geplanter) Prozesse. Das zeigt mir: Ein ERP-System ist nicht das Heilmittel für schlechte Prozesse.
Wenn wir Prozesse als Zusammenarbeit von Beteiligten und Abfolge von Arbeitsschritten verstehen, dann sind Prozesse auch gar nicht Gegenstand von ERP-Systemen. Sie zeigen nur den jeweiligen Bestand der Ressourcen, die durch die Arbeit in den Prozessen verändert wird. Jede Veränderung (Entnahme eines Ersatzteils aus dem Lager und Verwendung in einem Serviceauftrag) stößt eine Transaktion im System an, um die Bestandsveränderung zu dokumentieren. Und jede Transaktion hinterlässt einen Beleg.
Workflow-Engine und ERP-System
Workflow-Engine und ERP-System sind also wie Positiv und Negativ in einem Fußabdruck: Der Prozess in der Workflow-Engine zeigt die Arbeit, der Beleg im ERP-System die Auswirkung dieser Arbeit auf die Ressourcen. Wenn wir also die Zusammenarbeit der Beteiligten verbessern wollen, hilft es nicht, das ERP-System zu verbessern.
Aus der Sicht eines ERP-Beraters erscheint der Prozess als Belegfluss. Tatsächlich zeichnen die Kollegen auch gerne Diagramme, die Belege darstellen (siehe Abbildung 1). Wenn wir als Prozessberater auf einen Prozess schauen, dann sehen wir Aktivitäten. Die Belege sind die Ereignisse oder die Nachrichtenflüsse dazwischen (Abbildung 2).
Ein ERP-System liefert Belege
Die Benutzer in den Unternehmen sehen den Unterschied im Alltag sehr deutlich: Ein ERP-System liefert ihnen Benutzerdialoge zur Erstellung von Belegen. Diese Dialoge sind so gestaltet, dass alle Parameter des Belegs bearbeitet werden können – unabhängig davon, ob sie an dieser Stelle interessant sind oder nicht. Auch sind die Parameter generisch benannt und haben oft keinen Bezug zur tatsächlichen Tätigkeit in der Aktivität.
Da muss man schon eine Menge an Kürzeln und Bedienungsabläufen lernen. Ich erinnere mich immer an die Software-Einführungen, wo Mitarbeitende mit einem Heft im Seminarraum saßen und akribisch mitgeschrieben haben, welche Buttons sie in welcher Reihenfolge zu klicken haben. Wenn sie da mal nicht einen Schritt vergessen…
Workflows beschreiben Aktivitäten
Ein Workflow beschreibt eine Aktivität aus rein fachlicher Sicht. Ein Benutzerdialog erfragt die Informationen, die fachlich an dieser Stelle relevant sind und nennt sie auch so. Die Übersetzung dieser Informationen in Belege erledigt dann der Prozess im Hintergrund. Und wenn eine fachliche Tätigkeit mehrere Belege nach sich zieht, dann muss nicht der Benutzer x-mal hintereinander einen Beleg erstellen sondern der Workflow stößt nach der Aktivität die erforderlichen Transaktionen im ERP-System an.
Fazit
Ein ERP-System verbessert keinen Prozess. Wir müssen den Prozess verstehen, um das System richtig aufzubauen. Ein richtig konfiguriertes ERP-System ist unzweifelhaft eine notwendige Voraussetzung. Aber die eigentliche Arbeit der Prozessoptimierung erfolgt im Workflow-System. „Stick to the Standard“ ist ein guter Rat für die Konfiguration des ERP-Systems. Die Individualisierung macht der Prozess.