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Künstliche Intelligenz (KI) gilt – auch im Juli 2025 – als einer der stärksten Treiber digitaler Transformation – und hat längst das Feld des Geschäftsprozessmanagements (BPM) erreicht. Von intelligenten Workflows über automatisierte Entscheidungsprozesse bis hin zu Process Mining in Echtzeit: KI erweitert den Werkzeugkasten von Organisationen massiv. Doch wo stehen wir wirklich? Welche Rolle spielen Datenschutz, No-Code/Low-Code-Plattformen oder Standards wie BPMN 2.0? Und wo liegen Risiken, die aktuell noch zu oft ausgeblendet werden?
Status Quo: Vom Modell zur Intelligenz
Das klassische Prozessmanagement – modellieren, automatisieren, messen, optimieren – stößt in datengetriebenen, dynamischen Umgebungen an seine Grenzen. KI setzt hier an, indem sie nicht nur abbildet, sondern mitlernt, prognostiziert und (teil-)entscheidet.
Studien zeigen, dass bereits über ein Drittel der deutschen Unternehmen KI-Elemente in Prozessautomatisierungen einsetzt (Bitkom 2024). Besonders verbreitet ist der Einsatz in:
- Process Mining & Predictive Analytics
- Dokumenten- und Texterkennung (OCR, NLP)
- Automatisierte Workflows und Entscheidungsunterstützung
- Conversational Interfaces (Chatbots, virtuelle Assistenten)
No-Code / Low-Code + KI: Demokratisierung der Prozessdigitalisierung
Ein starkes Bindeglied zwischen KI und Prozessmanagement sind Low-Code- und No-Code-Plattformen wie (nicht abschließend):
- Microsoft Power Platform
- Make (Integromat), n8n
- Appian, OutSystems
- Camunda 8, Flowable, TIM Solutions, Operaton, ….
- SAP Build Process Automation
Diese Tools ermöglichen Fachabteilungen, eigene Prozesse zu modellieren und zu automatisieren – häufig durch Drag-and-Drop, deklarative Logik und vorkonfigurierte KI-Module (z. B. Texterkennung, Sentimentanalyse, Decision Trees). KI wird damit nicht nur zum Spezialistenthema, sondern Teil des Alltagsgeschäfts.
Chancen:
- Reduktion von IT-Abhängigkeit
- Schnelle Iteration und Testing von Prozessideen
- Einbindung von Citizen Developers
- Integration von KI ohne tiefes ML-Wissen
BPMN 2.0: Der Ordnungsrahmen für hybride Prozesse
Trotz (oder gerade wegen) wachsender KI-Nutzung gewinnt BPMN 2.0 als Standard zur Prozessmodellierung neue Bedeutung. Warum?
- Struktur & Nachvollziehbarkeit: KI-gestützte Prozesse bleiben nur steuerbar, wenn ihre Logik visuell und standardisiert dokumentiert ist.
- Integration von Decision Modeling: Kombiniert mit DMN (Decision Model and Notation) lassen sich automatisierte und KI-gestützte Entscheidungen strukturiert einbinden.
- Human-in-the-Loop: BPMN erlaubt explizite Modellierung von Mensch-Maschine-Interaktionen (Tasks, Gateways, Events) – essenziell bei kritischen Entscheidungen.
BPMN 2.0 wird somit zur Brücke zwischen strukturierter Prozesswelt und KI-basierter Dynamik.
Datenschutz: Zwischen Regulierung, Realität und Illusion
KI in Prozessen funktioniert nicht ohne Daten – und genau hier liegt eine der größten Herausforderungen: Datenschutz und ethische Datenverwendung. Gerade im Zusammenspiel mit personalbezogenen Prozessen ist höchste Sorgfalt geboten.
Typische Herausforderungen:
- Intransparente Datenverarbeitung (Black Box)
Viele KI-Modelle lassen sich nicht ohne Weiteres erklären – was gegen das Transparenzgebot der DSGVO (Art. 5, 13) verstößt. - Fehlende Zweckbindung
KI-Systeme neigen dazu, Daten für vielfältige Analysen weiterzuverwenden. Die DSGVO verlangt jedoch, dass Daten nur für festgelegte, eindeutige Zwecke verwendet werden. - Datensparsamkeit vs. Datenhunger
Während KI auf große Datenmengen angewiesen ist, fordert die DSGVO die Erhebung nur der unbedingt nötigen Daten (Art. 5 Abs. 1 lit. c). - Automatisierte Entscheidungen ohne menschliche Kontrolle
Artikel 22 DSGVO untersagt vollautomatisierte Entscheidungen mit rechtlicher Wirkung für Betroffene, etwa bei Kreditvergabe oder Kündigungen – es sei denn, es bestehen geeignete Schutzmaßnahmen. - Unzureichende Anonymisierung und Re-Identifizierbarkeit
Selbst „anonymisierte“ Daten können durch Querverbindungen wieder identifizierbar werden – ein unterschätztes Risiko bei Prozessanalysen. - Fehlende Datenschutz-Folgenabschätzungen (DSFA)
Viele Unternehmen führen keine oder unzureichende DSFA durch, obwohl sie bei hohem Risiko für Betroffene gesetzlich vorgeschrieben ist (Art. 35 DSGVO).
Illusionen im KI-Hype:
Illusion | Realität |
„KI ist DSGVO-konform, wenn sie aus der Cloud kommt.“ | Die Verantwortung bleibt beim datenverarbeitenden Unternehmen. |
„Wenn wir Daten anonymisieren, sind wir safe.“ | Anonymisierung ist schwer – und oft nur scheinbar effektiv. |
„KI entscheidet objektiv.“ | KI übernimmt Vorurteile aus den Trainingsdaten – Bias bleibt ein reales Problem. |
„Unsere Mitarbeitenden verstehen die KI schon.“ | Ohne Schulung bleibt KI eine Black Box und erzeugt Misstrauen. |
Was hilft?
- Transparenzpflichten erfüllen
- Datenschutz-Folgenabschätzungen frühzeitig einplanen
- KI-Erklärbarkeit fördern („Explainable AI“)
- „Human-in-the-Loop“-Konzepte etablieren
- EU AI Act beachten – der 2025 in Kraft tritt und strenge Regeln für Hochrisiko-KI-Systeme bringt (z. B. in HR, Banking, Gesundheitswesen)
Grenzen und kritischer Ausblick
So vielversprechend KI im Prozessmanagement ist – nicht jeder Prozess ist KI-tauglich, und nicht jede Automatisierung sinnvoll.
Grenzen:
- Komplexe kreative Tätigkeiten (z. B. Strategieentwicklung)
- Datenarme Prozesse ohne belastbare Historie
- Ethisch sensible Entscheidungen (z. B. Sozialleistungen, Kündigungen)
- Verantwortlichkeit: Wer haftet bei Fehlern einer KI im Prozess?
Fazit:
KI sollte Prozesse nicht ersetzen, sondern ergänzen. Der Mensch bleibt Gestalter, Interpret und Korrektiv – besonders in Ausnahmesituationen, bei Widersprüchen oder ethischen Dilemmata.
Fazit: Prozessmanagement neu denken – aber nicht blind
KI verändert das Prozessmanagement radikal – hin zu einer lernenden, adaptiven, automatisierten Prozesswelt. Doch die wahren Fortschritte liegen nicht in Technologie allein, sondern im verantwortungsvollen Umgang damit:
- Wer KI mit BPMN 2.0 kombiniert, schafft Struktur statt Chaos.
- Wer Low-Code-Plattformen nutzt, befähigt Fachabteilungen zur Mitgestaltung.
- Wer Datenschutz und Ethik ernst nimmt, schafft Vertrauen und Nachhaltigkeit.
Am Ende ist KI kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug – und wie bei jedem Werkzeug kommt es darauf an, wie wir es einsetzen.
Quellen und weiterführende Literatur
- Bitkom e.V. (2024): Künstliche Intelligenz in der deutschen Wirtschaft – bitkom.org
- Gartner (2023): Top Trends in Business Process Management – gartner.com
- EU-Kommission (2024): EU AI Act – Final Draft
- BfDI: KI und Datenschutz – Was Unternehmen beachten müssen – bfdi.bund.de
- van der Aalst, W. (2021): Process Mining – Data Science in Action
- Dumas, M. et al. (2018): Fundamentals of Business Process Management